Die Charta der Vielfalt ruft einmal im Jahr Unternehmen und Institutionen zu einem bundesweiten Aktionstag auf, sich mit eigenen Aktivitäten daran zu beteiligen. Die Stiftung „barrierefrei kommunizieren“ initiierte am 7. Juni 2016 einen Workshop zum Thema:
Barrierefreie Kommunikation – Untertitel und Audiodeskription erstellen
Ursula Voßwinkel von konzept barrierefrei nahm am Workshop der Stiftung „barrierefrei kommunizieren“ teil und gibt in diesem Dossier ihre persönlichen Eindrücke wieder.
Nach der Begrüßung der Teilnehmer durch die Leiterin Susanne Böhmig gab uns Carola Werning einen Überblick über die unterschiedlichen Bedürfnisse von Menschen mit Sinneseinschränkungen. Christoph Weipert übernahm danach den zweiten Teil mit praktischen Übungen zum Thema Untertitel und Audiodeskription.
Sehen statt hören
Carola Werning ist erst spät ertaubt und kann sich deshalb lautsprachlich verständigen. In ihrem Vortrag erläuterte sie zunächst die vielen verschiedenen Sinneseinschränkungen und welche Anforderungen sich daraus für die Mediennutzung ergeben. Sie widmete sich dann speziell den Hörbehinderungen. Für die Kommunikation ist es nämlich ein Unterschied, ob jemand gehörlos geboren, taub-blind, spät ertaubt, oder schwerhörig ist. Wie gut diese Menschen Laut- und Schriftsprachkompetenz erwerben, ist sehr individuell ausgeprägt. Nicht alle verstehen deshalb die Gebärdensprache oder können alles ohne Probleme lesen. Menschen mit der Muttersprache Gebärdensprache wiederum müssen die Schriftsprache wie eine Fremdsprache erlernen. Bei der Kommunikation muss man also sowohl den intellektuellen Anspruch als auch die technisch-mediale Umsetzung im Blick zu haben.
Digitalisierung als Chance zur Teilhabe
Während Menschen mit Hörbeeinträchtigungen in der reinen Telefonära von einem großen Teil der Kommunikation ausgeschlossen waren, profitieren sie heute im Zeitalter der Digitalisierung ganz klar von den vielen neuen technischen Errungenschaften. Nicht Hören zu können, wird also mit Sehen ausgeglichen. Das erklärt, warum Menschen mit Sinneseinschränkungen so ausgeprägt das Internet nutzen. Dank PC, Smartphone und Tablet können sie selbstbestimmt am mobilen Leben teilhaben und bekommen auch Zugang zu besserer Bildung. Die Zugänglichkeit zu den digitalen Medien für blinde Nutzer setzt aber voraus, dass die Inhalte maschinenlesbar sind, damit sie von Sreenreadern gelesen werden können. Für gehörlose Menschen, die die Deutsche Gebärdensprache benutzen, müssen noch zusätzliche visuelle Medien z. B. Videos in Gebärdensprache oder besondere Textversionen bereitgestellt werden. Taub-blinde Menschen benötigen die Brailzeile, weil sie nur über den Tastsinn kommunizieren können. Da ein großer Teil gehörloser Menschen schriftliche Texte nur auf relativ einfachem Niveau rezipieren, sind Inhalte in leichter bzw. einfach verständlicher Sprache sehr hilfreich.
Aus heutiger Sicht ist völlig unverständlich, warum die Deutsche Gebärdensprache erst seit 2002 als gleichberechtigte Sprache anerkannt wurde. Vor allem Kinder, die von Geburt an gehörlos sind, hatten deshalb schlechtere Bildungschancen. Sie wurden in Förderschulen abgeschoben und hatten auch später schlechte Chancen, auf dem ersten Arbeitsmarkt eine Anstellung zu finden. Auch heute ist in der Gesellschaft die Meinung verbreitet, dass gehörlose Menschen weniger begabt sind. In der Öffentlichkeit werden sie wegen ihres lautlosen Erscheinens weniger wahrgenommen und oft schlichtweg übergangen. Auch wenn gehörlose Menschen viel besser als früher kommunizieren können, fühlen sie sich oft isoliert, vor allem wenn sie erst im Laufe des Lebens eine Hörbehinderung erworben und keine Kontakte zur Gehörlosenszene haben.
Barrierefreie Kommunikation durch Schriftdolmetschen
Der überwiegende Teil der Menschen mit einer Hörbehinderung ist schwerhörig oder erst spät ertaubt, so wie Carola Werning. Die Gebärdensprache und das Lippenlesen beherrschen sie zumeist nicht. Sie kommunizieren lautsprachlich, müssen aber im Dialog das gesprochene Wort lesen können. Carola Wernig hatte während ihres Vortrags eine Assistentin an ihrer Seite. Wenn wir Fragen stellten, sprach sie sehr schnell das Gehörte in ein Computermikrofon, das ihren Mund beim Sprechen umschloss. Ihre Lautsprache wurde mittels einer Spracherkennungstechnologie synchron als Schriftsprache auf dem Bildschirm ausgegeben. So konnte Frau Werning fast ohne Zeitverzug mit uns in den Dialog treten. Dieses Schriftdolmetschen zeigte uns sehr anschaulich das Zusammenspiel von Mensch und Technik. Diese und andere Innovationen haben die barrierefreie Kommunikation gerade für Gehörlose sehr vorangebracht. Leider stehen heute noch nicht genügend qualifizierte Schriftdolmetscher zur Verfügung, so Frau Werning. Zukunftweisende Technologien sind die sogenannten Gebärdenavatare (virtuelle Kunstfiguren wie SiMAX). Mit ihnen ließen sich kostengünstigere, stärker automatisierte Übersetzungen von schriftlichen Informationen in Gebärdensprache realisieren. Mit der App SiGame stehen schon jetzt Avatare als Lern-App für Gebärdensprache zur Verfügung.
Audiovisuelle Medien als große Chance
Die Digitalisierung hat auch die Entwicklung vieler innovativer Assistenztechnologien für Menschen mit Sinneseinschränkungen voran gebracht. Blinden und stark sehbehinderten Menschen z. B. werden gedruckte Texte mittels digitaler Übertragung auf einen Bildschirm vorgelesen oder als Brailzeile ausgegeben. Inhalte im Internet können mittels Screenraeder (Vorlesesoftware) vorgelesen werden, wenn die Website und die PDF-Dateien barrierefrei gestaltet wurden. Filme werden per Audiodeskription zugänglich gemacht, indem in den sprachfreien Pausen Handlungen, Personen und Gegenstände beschrieben werden. Mit audiovisuellen Medien können sich aber auch Menschen mit Hörbehinderungen und kognitiven Einschränkungen oder Aufmerksamkeits- und Konzentrationsproblemen Inhalte besser und leichter erschließen. Ohne Untertitel allerdings bleiben diese Inhalte oft unverständlich oder werden missverstanden. Bei aktueller Berichterstattung werden im öffentlichen Fernsehen zunehmend Gebärdensprachdolmetscher eingeblendet, die synchron übersetzen.
Technisch ist es heute vieles einfach machbar. Online-Filme werden aber nur barrierefrei, wenn sie mit Untertiteln versehen werden oder zusätzlich eine Version mit Audiodeskription erstellt wird. Im öffentlich-rechtlichen Fernsehen werden mittlerweile Filme, wenn auch viel zu wenige, mit Untertiteln oder Audiodeskription im regulären Programm angeboten. Unverständlich ist allerdings, warum in der Mediathek dieser barrierefreie Service plötzlich verschwindet. Dabei zahlen behinderte Menschen die gleichen Gebühren wie jeder andere.
Barrieren in den Köpfen beseitigen
Digitale Medien sind ein großer Gewinn für Menschen mit Hörbehinderungen, die allerdings auch mit erheblichen Kosten verbunden sind. Doch eine inklusive Gesellschaft muss sich diesen Herausforderungen stellen, denn eine Hörbeeinträchtigung darf nicht zu einer Benachteiligung im Leben der Menschen führen. Gerade weil diese Behinderungen so unsichtbar sind und von den Betroffenen zusätzlich versteckt werden, muss viel stärker aufgeklärt werden. Im Gegensatz zu blinden Menschen, die sich mit Assistenztechnologien die digitalen Medien erschließen können, brauchen Menschen mit Hörbehinderungen zusätzliche Medien. Das barrierefreie Internet kommt deshalb ohne Gebärdensprachvideos und Inhalte in leichter Sprache nicht aus.
Die Gruppe der Menschen mit Hörbehinderungen wird nicht nur durch den demografischen Wandel ständig größer. Bereits heute haben viele Jugendliche Hörschäden, die sich im Alter weiter verstärken werden. Auch psychische Beeinträchtigungen bei Jugendlichen nehmen deutlich zu, was ebenfalls Auswirkungen auf die Kommunikation haben wird.
Kostenlose Programme für Untertitel und Audiodeskription
Christoph Weipert übernahm den praktischen Teil des Workshops und führte die Teilnehmer zunächst ins Thema Untertitel erstellen und Audiodeskription ein. Er erläuterte die Grundsätze, die die Landesrundfunkanstalten für die Darstellung von Untertiteln und Audiodeskription im deutschsprachigen Raum erarbeitet haben und als PDF zur Verfügung stellen.
Links zur PDF:
http://www.zdf.de/untertitel-standards-von-ard-orf-srf-und-zdf-37961544.html
Christoph Weipert demonstrierte dann an einem Beispiel, wie mit den Programmen MovieMaker, SubtitleEdit und Audacity ein Videofilm untertitelt und mit Audio-deskriptionen versehen werden kann. Außerdem zeigte er, wie sich bei YouTube über den Video-Editor ganz leicht Untertitel hinzufüge
n und bearbeiten lassen. YouTube übersetzt Untertitel automatisch, was allerdings oft ungewollte, teils lustige Aussagen zur Folge hat. Es ist also ratsam, die Untertitel selbst zu erstellen, damit die richtigen Botschaften beim Zuschauer/Zuhörer ankommen.
Untertitel erstellen
Nach der Theorie folgte die Praxis. In kleinen Gruppen ging es an die Rechnerarbeitsplätze. Als Vorlage diente ein Video, das von Kinderredakteuren einer Schule erstellt wurde. Unsere Aufgabe war es nun, Untertitel zu erstellen und grafisch in das Video einzuarbeiten. Die Herausforderung bestand darin, den Text auf das gesprochene Wort zeitlich so anzupassen, dass der Inhalt möglichst 1:1 wiedergegeben wurde. Nachdem wir uns mit dem Programm vertraut gemacht hatten, verstanden wir die Arbeitsweise sehr schnell. Untertitel zu erstellen ist vor allem eine Fleißarbeit, die keine großen Fachkenntnisse erfordert. Der Nutzen hingegen ist sehr groß. Warum es so wenige Videos mit Untertiteln im Internet gibt, ist uns unverständlich. Dieses Thema muss stärker kommuniziert werden.
Audiodeskription erstellen
Die Audiodeskription muss Antworten auf die Fragen „Wer, Wo, Was, Wann“ geben und das in jeder für den Handlungsablauf wichtigen Situation klären. Ziel ist es, den blinden und sehbehinderten Menschen ein barrierefreies Filmerlebnis zu ermöglichen, das dem Erlebnis der Sehenden entspricht. Dabei soll der Film als Gesamtkunstwerk erhalten bleiben. Die Audiodeskription soll nicht erklären, nicht bewerten und nicht interpretieren. Musik und Geräusche dürfen nicht übersprochen werden. Auch Farben spielen für blinde und sehbehinderte Menschen eine Rolle. Und viele weitere Details aus dem Leitfaden müssen noch berücksichtigt werden. Audiodeskription ist im Ergebnis eine eigenständig kreative Arbeit, wodurch die Tonspur mit weiteren Informationen verdichtet wird. Diese Informationen sind für Sehende nicht immer nachvollziehbar. Aus diesem Grunde wird die Einbindung von qualifizierten blinden und sehbehinderten Autoren in den Erstellungsprozess der Audiodeskription empfohlen.
Uns Workshop-Teilnehmern sollte die Übung einmal einen Eindruck über die Herangehensweise vermitteln, die sich deutlich von der Erstellung von Untertiteln unterschied. Wir lernten, bevor man an die Arbeit geht, muss man sich über die Informationsdichte und über das Genre des Films klar werden. Wichtig ist auch die Auswahl eines Sprechers oder einer Sprecherin, deren Stimmlage, Sprechtempo usw. In unserem kleinen Team war auch eine blinde Teilnehmerin, mit der wir bereits die Untertitel erstellt hatten. Gerade sie war für die Umsetzung der Aufgabe sehr wichtig. Wir sehenden beschrieben ihr zunächst die Bilder und Handlungen des Videos. Es war gar nicht so einfach, dies prägnant und möglichst handlungssynchron in Worte zu fassen. Immer wieder kam es zu Verständnisfragen unseres blinden Teammitglieds, bis wir die richtigen Begriffe und Texte fanden. Als Zeitfenster für die Beschreibung hatten wir ja nur die Dialogpausen zur Verfügung, die teils sehr kurz waren. Deshalb beschreibt man Personen und deren Aussehen, Alter usw. möglichst frühzeitig. Deren Gestik und Gesichtsausdruck sollte man bei der Beschreibung sorgfältig abwägen, damit sie nicht missverstanden werden. War das Mädchen z. B. genervt oder nur amüsiert? War es wichtig zu erwähnen, dass es schwarz ist oder eher nicht? Darüber gab es unterschiedliche Auffassungen. Da wir noch sehr ungeübt waren, kamen wir über die erste Szene nicht hinaus. Ein Teilnehmer sprach den erarbeiteten Kommentar dann per USB-Mikrofon ein und speicherte ihn auf der Tonspur. Unser Audiokommentar wurde auf einer Timeline angezeigt und hätte nun weiterbearbeitet werden können.
Der halbtägige Workshop endete mit der Vorstellung der verschiedenen Gruppenarbeiten und einer Diskussion zu den Aspekten, wie z. B. der Genderfrage oder wie beschreibt man Behinderungen, körperliche Merkmale, Eigenheiten usw.
Alle Teilnehmer tauschten sich sehr rege aus und dankten dem Veranstalter für diesen sehr lehrreichen Workshop. Ich habe viele neue Einblicke, vor allem in die Welt der Nichthörenden bekommen. Bei meiner praktischen Arbeit werden mir die Leitfäden, die interessanten Quellen und die neuen Kontakte zu anderen Experten helfen.
Tipp: Der Beitrag „Sehen statt hören“ von Carola Werning ist sehr informativ und kann hier heruntergeladen werden:
Auf der Website www.hoerfilmev.de bekommt weitere Informationen zur Audiodeskription