Konzept barrierefrei berät Museen

Menschen an Glasfront

Marketing für besondere Zielgruppen

Gastvortrag von unserer Expertin Ursula Voßwinkel während eines Workshops mit Museumsexperten am 10. März 2016

Die Berliner Museen und der Projektträger Förderband e.V. – Kulturinitiative Berlin – starteten 2015 ein Pilotprojekt zur Inklusion. Das Motto: „Neue Perspektiven gewinnen!“

Das Ziel: Begegnung und Dialog von Menschen mit Behinderung und MitarbeiterInnen der Museen auf Augenhöhe. Dafür fanden zahlreiche thematische Workshops mit unterschiedlichen Schwerpunkten statt. Der Workshop am 10. März im Deutschen Technikmuseum beschäftigte sich mit dem  Thema „besondere Zielgruppen“. Gemeinsam mit ExpertInnen trafen sich KollegInnen und Vertreter aus Museen und Verbänden zu einem Fachaustausch. Einer praktischen Übung zur Leichten Sprache folgten drei Kurzvorträge und eine angeregte Diskussion.

Das Bild vom behinderten Menschen in den Medien – ein Paradigmenwechsel

In ihrem Beitrag zum Thema „Inklusion und Barrierefreiheit in der Öffentlichkeitsarbeit“ fand Lilian Masuhr von Sozialhelden e. V.: Die Darstellung von Menschen mit Behinderungen in den Medien muss sich ändern. Allzu oft rücken in der Berichterstattung die Behinderungen in den Vordergrund. Er oder sie ist entweder bemitleidenswert oder heldenhaft und geht tapfer durchs Leben. Beides reduziert Menschen nur auf ihre Behinderung und vernachlässigt, dass sie dieselben Interessen und Ansprüche haben wie alle anderen auch. Sie wollen dazugehören und nicht behindert werden. Also weg mit baulichen Barrieren und kommunikativen Defiziten. Nur so können Menschen mit unterschiedlichen Einschränkungen Freizeit- und Kulturangebote gleichberechtigt und selbstverständlich nutzen. Positive Kontakte zwischen allen Menschen mit und ohne Behinderungen fördern den Zusammenhalt in unserer Gesellschaft.

Menschen sind nicht behindert, sie werden behindert.

Ursula Voßwinkel von konzept barrierefrei knüpfte mit ihrem Vortrag über „Marketing für besondere Zielgruppen“ an die Beobachtungen und Schlussfolgerungen ihrer Vorrednerin an und sammelte Beispiele, wie Behinderung im Alltag aussieht: Hürden und Ärgernisse im Bereich Kommunikation und persönlicher Service wie z. B. zu kleine Schrift, unverständliche Bedienungsanleitungen, Fachchinesisch“ oder kompliziert zu öffnende Verpackungen.

Ursula Voßwinkel widmete sich zunächst dem Begriff besondere Zielgruppen. Menschen mit Behinderungen haben im Unterschied zu anderen Menschen nur ein Merkmal mehr, sie haben eine Versehrtheit, die oft nicht einmal unmittelbar wahrnehmbar ist.

Menschen mit Behinderung werden meist mit Rollstühlen und Rampen in Verbindung gebracht. Welche Barrieren jedoch Menschen mit kognitiven und Sinneseinschränkungen sowie ältere Menschen täglich überwinden müssen, wird oft nicht bedacht. Nur 4,5 % aller Schwerbehinderten sind unter 25 Jahre. Es besteht also ein direkter Zusammenhang zwischen Alter und Behinderung. Bereits heute sind über 20 % der deutschen Bevölkerung im Alltag eingeschränkt, Tendenz stark steigend. Von Barrierefreiheit profitieren viele: eine wachsende Zahl Älterer ebenso wie kleine Kinder, Eltern mit Kinderwagen und alle, die vorübergehend in ihrer Mobilität eingeschränkt sind oder nur wenig Deutsch sprechen.

Barrierefreiheit Skizze VdK
Mit freundlicher Genehmigung vom VdK. Siehe auch www.weg-mit-den-barrieren.de.

Barrierefreie Kultur ist ein Wachstumsmarkt.

Die These: erfolgreiches Museumsmarketing ist künftig ohne Barrierefreiheit nicht denkbar. Warum? Barrierefreie Kultur ist ein Wachstumsmarkt. Ein inklusives Museum schließt niemanden aus und ist für alle komfortabel.

Doch dafür müssen die Barrieren in den Köpfen beseitigt werden. Die Unternehmenskultur im Museum muss sich grundlegend ändern. Barrierefreiheit ist eine Denkhaltung und ein wichtiges Qualitätsmerkmal. Die Werte müssen in allen Hierarchieebenen verankert werden, um den individuellen Service für Besucher zu verbessern.

Museum für alle!

Ein Museum für alle Besuchergruppen möglichst barrierefrei erlebbar zu machen, braucht viele kleine Schritte. Einige Museen, vor allem staatliche, gehen bereits mit sehr gutem Beispiel voran. Schon 2012 gab der Museumsverband mit dem Leitfaden „Das inklusive Museum“ eine gute Arbeitsgrundlage heraus. Allerdings ist die Theorie der Praxis noch immer weit voraus. Einige Museen mit ungünstigem baulichen Zugang, aber vielfältigen Angeboten auch für Menschen mit Sinneseinschränkungen ignorieren diese Zielgruppen. Selbst die Museumspräsenz im Internet wird ungenügend genutzt. Die Websites sind weder barrierefrei, noch werden audiovisuelle Inhalte bereitgestellt und spezielle Führungen angeboten. Diese Häuser verschenken viel Potenzial und können so ihrem Bildungs- und Freizeitauftrag nicht umfassend gerecht werden.

Der Sozialverband VdK fordert in seiner groß angelegten Kampagne „Weg mit den Barrieren“ gesetzliche Regelungen und verpflichtende Standards für alle öffentlichen Einrichtungen und für die private Wirtschaft.

Welche Marketingstrategien führen zum Erfolg?

Die Forderung der UN-Behindertenrechtskonvention nach gleichberechtigter Teilhabe aller am gesellschaftlichen Leben ist Auslöser für ein Umdenken in allen Bereichen des Lebens und der Wirtschaft. Hinzu kommen die veränderten Marktbedingungen –  demografischer Wandel und Globalisierung, die einen neuen Ansatz im Marketing notwendig machen.

Menschen mit Behinderungen sind keine homogene Gruppe, so dass die Strategie des Zielgruppenmarketing wenig erfolgversprechend sein kann. Nicht die Behinderung ist das verbindende Element, sondern Persönlichkeiten mit Interessen und Lebensstilen.

Ein vergleichbarer Strategieansatz ist das Diversity-Marketing. Es reflektiert bewusst die soziale Vielfalt und vermeidet die Stereotypisierungen des Zielgruppenmarketings. Es zeigt Menschen mit mannigfaltiger ethnisch-kultureller, religiöser oder sexueller Orientierung, mit und ohne Behinderung. Diversity-Marketing berücksichtigt die Differenzierung der Lebensstile von Menschen und nutzt für die Ansprache gezielt deren Kommunikationskanäle. Das Ziel heißt Markterweiterung durch mehr Kundennähe.

Barrierefreies Marketing = Vielfalt statt Stigmatisierung

Beim Marketing für Menschen mit Behinderungen wird das Diversity-Marketing um den Aspekt der Barrierefreiheit erweitert. Die meisten Behinderungen werden im Laufe des Lebens erworben und die Betroffenen müssen sich auf neue Lebensumstände einrichten. Die Reduzierung auf die Behinderung und die Behandlung als Sondergruppe kämen einer Stigmatisierung gleich und ließen bisherige Interessen und Lebensstile außer Acht. Deshalb muss die Zugänglichkeit zum Museum, zur Ausstellung und zur Kommunikation gewährleistet sein, um Besucher nicht auszuschließen.

Ein wichtiges Marketinginstrument ist der Service, der den individuellen Bedürfnissen gerecht wird. Menschen mit Behinderungen benötigen detaillierte und verlässliche Informationen. Die Aussage, unser Haus ist barrierefrei, genügt nicht.

Wichtige Faktoren im Marketing sind:

  • Erlebbare Inhalte und neue Dimensionen der Exponate
  • Sensorische und mediale Vermittlung (Multimediaguide)
  • Digitale barrierefreie Kommunikation über Service und Angebote
  • Museumspräsenz im Internet für sinneseingeschränkte Besucher
  • Spezielle Führungen für Gruppen – blinde oder gehörlose Besucher, Besucher, die leichte Sprache bevorzugen (Lernschwierigkeiten, aber auch Kinder und Migranten)
  • Zugänglichkeit zu Veranstaltungen mit kommunikativen Technologien ( Induktive Höranlagen, Gebärdensprachdolmetscher, Untertitel bei Videos usw.)

Wichtige Faktoren in der Kommunikation sind:

  • Lebenswelten und Bedürfnisse genau kennen – Austausch mit Behindertenorganisationen
  • Menschen mit Behinderungen gezielt und persönlich ansprechen –  Dialog aufbauen
  • Werbemaßnahmen produkttechnisch anpassen – multimediale Differenzierung
  • Behinderung als „Vielfalt“ im normalen Alltag kommunizieren (gemeinsam mit Nichtbehinderten)
  • Menschen mit Behinderungen ohne Klischees darstellen – realistische Darstellungen
  • Mit Stereotypen brechen (Rollstuhl oder Behinderung stark im Vordergrund)
  • Persönlichkeit, Interessen, Betätigung ansprechen – weder Opfer noch Held

Ziel: Individualmarketing statt Massenmarketing. Das Beziehungsmarketing sichert den persönlichen Dialog und ist ein zentrales Element im Marketing-Mix.

Komfort für alle mit Universal Design

Das universelle Design steht im unmittelbaren Kontext mit der UN-Behindertenrechtskonvention als eines der Mittel zur Erreichung der Inklusion. Es macht Anpassungen weitgehend überflüssig, weil es bereits barrierefrei ist.

Einer barrierefreien Ausstellung sind mitunter kunstspezifische Grenzen gesetzt und nicht alle Wünsche können gleichermaßen erfüllt werden. Es geht auch nicht darum, alles für Menschen mit Behinderungen zu optimieren, sondern ein gutes Miteinander und Nebeneinander zu organisieren. Denn viele Bedürfnisse der verschiedenen Gruppen verhalten sich diametral. (Rollifahrer wünschen ebene Flächen, blinde Besucher taktile Bodenelemente). Doch zumindest im Kern kann eine Ausstellung mit Universal Design funktional, nutzerfreundlich und zugänglich für alle gestaltet werden. Es geht um die Integration barrierefreier Angebote in das Gesamtkonzept des Museums, damit es für alle ein Ort des lebenslangen Lernens bleibt.

Die Kernkriterien für Universal Design sind:

  1. Zugänglichkeit
  2. Entstigmatisierung
  3. Berücksichtigung der Hilfsmittel und Hilfspersonen
  4. Kompatibilität der Assistenztechnologien

Der Designprozess folgt zwar konkreten Anforderungen und Qualitätsstandards, sollte aber immer den Menschen in den Mittelpunkt stellen und an die örtlichen Gegebenheiten angepasst werden.

Bei der Umsetzung helfen folgende Regeln:

  • „Kiss-Regel“: Keep it Short and Simple – Informationen kurz und einfach halten
  • „Zwei-Sinne-Prinzip“: in Kombination Hören, Sehen, Fühlen
  • „Räder-Füße-Regel“: Angebote für Besucher mit Rollstuhl, Rollator und zu Fuß nutzbar
  • „Individuelle- Service-Regel“: Individuelle Bedürfnisse der Besucher erkennen und berücksichtigen

Der individuelle Service in Museen und Kultureinrichtungen ist ein wichtiges Komfortmerkmal. Mitarbeiter mit Kundenkontakt müssen im Umgang mit Menschen mit Behinderungen sensibilisiert und geschult werden.

Digital First – barrierefreie Kommunikation

Die Digitalisierung, die zunehmende Verbreitung mobiler Endgeräte sowie die wachsende Bedeutung von Suchmaschinen und Social Media haben die Art und Weise, wie Informationen gesucht und Entscheidungen getroffen werden, signifikant verändert. Menschen mit Behinderungen benutzen das Internet überdurchschnittlich. Besonders ausgeprägt ist die Nutzung bei blinden Menschen, gefolgt von gehörlosen Nutzern und Menschen mit Lernbehinderungen. Voraussetzung ist eine barrierefreie Homepage im Standard-Webdesign (W3C, Word Wide Web Consortiums). Sie unterscheidet sich genauso wie eine barrierefreie PDF-Datei lediglich durch Art der Nutzung und der Anwendung des Zwei-Sinne-Prinzips. Text kann beispielsweise visuell gelesen und mittels Screenreader-Software sowohl auditiv angehört wie auch taktil in Brailleschrift (Punktschrift) gelesen werden.

Deshalb müssen für rein visuelle Informationen in Videos zusätzliche Textalternativen oder Audio-Deskriptionen zur Verfügung gestellt werden. Untertitel in Videos helfen z. B. auch Menschen, die die deutsche Sprache noch nicht gut sprechen.

Die digitale Kommunikation sollte deshalb im Marketingprozess als Leitmedium eingestuft werden. Die wichtigsten Instrumente des Marketing-Mix‘ sind die Homepage, E-Mail-Marketing und Social Media. Ebenso wie beim Universal Design ist der Hauptgedanke von Digital First der Kundennutzen. Mit der digitalen Kommunikation wird der Kundendialog möglich und damit die Einwegkommunikation beendet. Dem Besucher oder Nutzer werden Informationen oder Service bereitgestellt, die er zeitlich unbegrenzt nutzen kann. Er wird allmählich an den Prozess der Online- und Selfeservice zur Zusammenarbeit herangeführt und erlebt dadurch ein „digitales Training“. Das sind z. B. Bestellungen und Bezahlvorgänge, Anmeldungen oder das Interagieren bei Aktionen.

E-Mail-Marketing – persönlich, direkt und messbar

Das E-Mail-Marketing als ein wichtiger Teil des Marketing-Mix ist mehr als nur ein Newsletter. Es ermöglicht den aktiven Dialog mit den Zielgruppen. Es ist ein werbefreier Kanal, der allerdings  der Zustimmung des Adressaten bedarf.

Voraussetzung für den Erfolg ist ein Redaktionsplan, die Festlegung von Zielgruppen, die richtige Themenwahl und die Vernetzung mit anderen digitalen Medien.

Die Grundlage für dieses Beziehungsmarketing ist eine professionelle Datenbank und die Integration in ein webbasiertes CRM-System (Customer-Relationship-Management). Beim Aufbau muss man sich zunächst intensiv mit den Zielgruppen und den Zielpersonen beschäftigen. Dann werden Kriterien und Stichwörter festgelegt, wonach man selektieren kann. Nicht alle Informationen haben für alle Gruppen dieselbe Relevanz. Firmen, Verbände und Medien z. B. werden mit anderen Inhalten angesprochen als Besucher. Die Zielgruppe Besucher wiederum muss mit Stichworten entsprechend ihrer Bedürfnisse versehen werden.

So können diejenigen mit Behinderungen gezielt gefiltert werden, um ihnen z. B. Sonderführungen für Blinde, in Deutscher Gebärdensprache oder in leichter Sprache anzubieten. Da Menschen mit Behinderungen umfassend die digitale Welt nutzen, ist von einem höheren Zuspruch als normal auszugehen.

Gute Multiplikatoren sind auch Publikationen und Plattformen der Behindertenverbände sowie Behindertenzeitung und tägliche Radiosendungen von Inclusio Media mit speziellen Themen.

Dialog-Kommunikation – Print und Web

Nicht alle potenziellen Besucher sind aktiv online und können nach wie vor mit klassischer Werbung erreicht werden. Das können Flyer, Einladungen oder Aktionen sein, die per Post personalisiert versandt werden. Der Empfänger bekommt einen Impuls, über das Angebot nachzudenken und die Website zu besuchen. Wenn sie dann auch noch auf Sinneseingeschränkte zugeschnitten ist, steigt das Interesse. Technisch ist das kein Problem. Für die einzelnen Zielgruppen werden Adaptionen hergestellt und im Web entsprechende Inhalte bereitgestellt. Der QR-Code muss natürlich auf die richtige Landingpage oder Microsite verlinkt sein.

Konzeptionell muss eine solche Kampagne gut durchdacht werden. Sie benötigt einen ganzheitlichen Ansatz und die Integration aller Maßnahmen wie Soziale Netzwerke, Social Business, Big Data, Mobile First sowie klassischen Werbung. So entstehen vielfältige Synergien und Wechselwirkungen.

Vernetzung der Medienarten Print, E-Mail und Social Media

In einem dritten Vortrag vermittelte die Bloggerin Nina Binias interessante Einblicke in die Welt von Social Media. Sie erläuterte an Beispielen die Wirkungsweise der verschiedenen sozialen Netzwerke. Jedes Unternehmen muss selbst entscheiden, welcher Kanal geeignet ist und wie Social Media in die Marketingstrategie integriert werden kann. Wichtig sind dabei Kontinuität, aktuelle interessante Inhalte und der Nutzen für die Fangemeinde. Wer z. B. über facebook kommuniziert, muss die Inhalte anders verpacken – unterhalsamer und banaler – als z. B. für Xing.

In der lebhaften Diskussion kam zum Ausdruck, dass barrierefreies Marketing noch sehr viel Potenzial hat und die Marketingabteilungen zum Teil personell verstärkt werden müssten.