Sprache schafft Wirklichkeit

Das ist der Titel einer Publikation für einen rassismuskritischen Sprachgebrauch für Journalistinnen und Journalisten. Was das mit unserem Thema Barrierefreiheit und Inklusion zu tun hat? Sehr viel.

Christoph Weipert vom Medienkompetenzzentrum hat nach Veröffentlichung meines Dossiers über den Workshop am Diversitiy-Tag (siehe Beitrag vom Juni) das Thema Rassismus in Bezug auf korrekte Sprache aufgegriffen und einen interessanten Link geschickt:  http://www.oegg.de/index.php?de_ab-2008

Auf der Website stehen zwei Publikationen zum Download: der Leitfaden und das Glossar als Überblick, beide sehr zu empfehlen.

GlossarThema Hautfarbe

Im Workshop „Audiodeskription und Untertitel erstellen“, den Christoph Weipert leitete, gab es u. a. die Diskussion, ob und wie man Menschen mit einer anderen Hautfarbe beschreibt. Ich habe gelernt, dass die Worte „Farbiger“ und „Schwarzer“ nicht synonym sind. In der Kolonialzeit wurden Menschen „Farbige“ genannt, weshalb diese Fremdbezeichnung diskriminierend ist.
Zum Thema Hautfarbe und zum Begriff Schwarz steht im Leitfaden auf Seite 23 folgender Satz:

Der Begriff ‚Schwarz‘ wird hingegen in Deutschland, aber auch in anderen Teilen der schwarzen/afrikanischen Diaspora als Selbstzuschreibung verwendet. Der Begriff bezieht sich dabei nicht, wie oft angenommen, auf die Hautfarbe, sondern auch auf eine gesellschaftliche/soziale Positionierung und Realitätserfahrung von Menschen mit Rassismuserfahrungen.

Der Leitfaden mit seinen vielen Hintergrundinformationen hat mich veranlasst, einige Gedanken und Erkenntnisse auf unser Thema barrierefreie Kommunikation zu übertragen.

Diversity und Barrierefreiheit

Der Leitfaden für einen rassismuskritischen Sprachgebrauch berührt auch viele Themen im Bereich Inklusion und Barrierefreiheit. Rassismus bedeutet Ausgrenzung und Abwertung. Aber in einer inklusiven Gesellschaft ist es normal, verschieden zu sein. Inklusion heißt wörtlich übersetzt Zugehörigkeit, also das Gegenteil von Ausgrenzung.

Wir Medienschaffende können auf dem Weg zu einer inklusiven Gesellschaft einen großen Beitrag leisten, indem wir mit Sprache alte Denkmuster überwinden und diskriminierende Bilder, auch wenn sie nicht beabsichtigt sind, vermeiden.

Wer oder was ist normal?

Menschen, die nicht dem normalen Bild oder dem Durchschnitt entsprechen, sind oft von Ausgrenzung betroffen. Ausgrenzung beginnt bereits bei einer Markierung – was ist Norm und was ist Abweichung. Das kann eine nicht „weiße“ Hautfarbe, eine andere Religion, die sexuelle Orientierung, das Geschlecht oder eine Behinderung sein.

Die Wahl von Fotomotiven oder die Form der Berichterstattung sollte deshalb nicht unreflektiert erfolgen, damit nicht Klischees oder ungewollte Aussagen entstehen. Mitunter werden Klischees aus alten Denkmustern abgerufen oder unüberlegt geäußert. Es bedarf also einer gewissen Sensibilität und Sorgfalt, damit kein falscher Kontext entsteht. Bilder sprechen eine eigene Sprache. Auch wenn der Text klare Aussagen enthält, können die Bilder etwas anderes signalisieren und so den Kontext verändern oder gar ins Gegenteil verkehren. Zeitmangel oder Unwissenheit als Ausrede gelten in Zeiten des Internets nicht. Wer kommuniziert oder publiziert ist verpflichtet, gut zu recherchieren und sich zu informieren. Jeder kann dazu beitragen, dass Inklusion in die Köpfe von Menschen gelangt und alte Darstellungsmuster gebrochen werden.

Alte Denkmuster durchbrechen

Beim Hören oder Lesen von Begriffen entstehen Bilder im Kopf, die sofort bestimmte Assoziationsketten in Gang setzen. Menschen werden aufgrund äußerer Merkmale zugleich bestimmte Charaktermerkmale oder (Un-)Fähigkeiten zugeordnet. Das passiert meist unbewusst. Umso wichtiger ist es, selbstkritisch zu sein und eigene Denkmuster zu korrigieren. Wer sich beispielsweise mit Audiodeskription befasst, Handlungen und Bilder für nicht sehende Menschen beschreibt, stößt sehr schnell auf viele Fragen oder wird unsicher. Wie beschreibe ich Personen? Welche körperlichen Eigenschaften nenne ich, was ist im Bezug zum Inhalt relevant?

Nicht immer ist es damit getan, ein Wort durch ein anderes zu ersetzen, sondern seine eigene Perspektive komplett zu überdenken. Political Correctness bei der richtigen Wortwahl hilft also nur bedingt. Manchmal muss man einen schon fertigen Satz oder den ganzen Text neu formulieren oder Aussagen konkretisieren, damit keine Missverständnisse entstehen. Mitunter löst die Wahl eines Bildes durch den dazugehörigen Text eine ungewollte Assoziation aus, durch die ein anderer Sinn entsteht.

Perspektivwechsel – weg vom medizinischen Blick auf Behinderung

Beim Thema Behinderung geht es z. B. darum, das Denkmuster Betroffenheit und Opferperspektive oder das Gegenteil, die Heldenperspektive, grundlegend zu überdenken.

In meinem Dossier im Juni über die Abschlussveranstaltung „Neue Perspektiven gewinnen“ ging ich auf den Vortrag von Tony Heaton aus London ein. Unter dem Titel „Vom Abscheu zur Inklusion zur Diversity“ spannte er den Bogen der Betrachtung über einhundert Jahre. Menschen mit Behinderungen wurden früher als Exoten regelrecht zur Schau gestellt.

Man könnte nun meinen, dass wir heute den Paradigmenwechsel längst vollzogen haben und Menschen mit Behinderung nicht mehr nur auf ihre Defizite reduzieren. Auch wenn viel für die Gleichbehandlung behinderter Menschen getan wird, finden wir in den Medien noch viele Formulierungen und Berichterstattungen, die die medizinische Perspektive einnehmen oder zumindest einen mitleidigen Blick auf die Betroffenen werfen. Im günstigsten Fall wird mit Staunen oder Bewunderung über die tapfere Haltung berichtet. Aber auch das bedeutet eine Markierung des Andersseins und lenkt von dem eigentlichen Inhalt der Geschichte ab.

Opfer oder Helden?

Immer wieder sind solche Sätze zu lesen: „Trotz seiner Behinderung meistert er tapfer sein Leben“, „Obwohl behindert, gehört sie zu den Jahrgangsbesten“, „Der Schauspieler Xy, der an einer Glasknochenkrankheit leidet, berichtet über….“ usw. Die Behinderung rückt in den Vordergrund, nicht die Kompetenz oder Fähigkeit. Natürlich kann, wenn es für die Geschichte bedeutsam ist, darüber berichtet werden. Aber man sollte sich fragen, wie man berichten würde, hätte derjenige keine Behinderung. In welchem Kontext soll die Geschichte stehen und welche Bilder werden dafür ausgewählt?

Menschen mit Behinderungen unterscheiden sich lediglich durch ein Merkmal von nichtbehinderten, nämlich durch eine sichtbare oder unsichtbare Behinderung. Nicht mehr und nicht weniger.

Das größte Hemmnis beim Thema Barrierefreiheit sind die Barrieren in den Köpfen. Barrierefreiheit wird oft als Randthema weggeschoben, auf soziale Hilfe oder auf bauliche Anforderungen reduziert. Weil bei Entscheidern viel Gedankenlosigkeit zu vermuten ist, spielt die Form der Kommunikation in der Öffentlichkeit eine so wichtige Rolle.

Zusammenfassung – Selbstcheck

  • Wir fragen, welche Bilder und Assoziationen in den Köpfen unserer Leser oder Zuhörer durch unsere Ausführungen entstehen, auch ungewollte.
  • Wir reflektieren Barrierefreiheit nicht als Sozialthema, sondern betonen die Serviceorientierung. Menschen sind nicht behindert, sie werden behindert.
  • Wir vermeiden Bezeichnungen wie „Die Behinderten“ und sprechen stattdessen immer von Menschen mit Behinderungen oder Menschen mit Beeinträchtigungen.
  • Wir verwenden korrekte Bezeichnungen für Menschen mit Behinderungen je nach Art der Behinderung. Menschen mit Behinderungen sind keine homogene Gruppe.
  • Wir vermeiden bloße Aufzählungen wie Blinde, Gehörlose, Rollstuhlfahrer usw. Stattdessen sprechen wir von:
  • Menschen mit Gehbehinderungen und Menschen im Rollstuhl
  • Menschen mit Sehschwächen und blinde Menschen (oder Menschen, die nicht gut sehen können)
  • Menschen mit Hörbehinderungen und gehörlose Menschen (nicht taubstumm, aber ertaubt oder spät ertaubt)
  • Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen und mit Lernbehinderungen (nicht geistig Behinderte)
  • Wir prüfen unsere Texte und Aussagen durch einen Rollentausch. Wie würden wir über den Menschen berichten, wäre er nicht behindert?
  • Wir vermeiden Klischees und zeigen stattdessen realistische Darstellungen und Menschen mit mannigfaltigem Lebensstil.
  • Wir vermeiden Bilder, die die Behinderung betonen. Wir zeigen die Person in Aktion, passend zum Thema gemeinsam mit nichtbehinderten Menschen.
  • Wir beziehen Experten mit Behinderungen in bestimmte Projekte mit ein. Sie wissen am besten, was sinnvoll ist und was nicht.
  • Wir sprechen und berichten nicht nur über Menschen mit Behinderungen, sondern lassen sie selbst zu Wort kommen. Das ist authentisch und spiegelt eine andere Realität wider.